Definition
Der Alpha-1-Antitrypsinmangel (α1-ATM; oder auch: Alpha-1-Proteinaseninhibitormangel) ist eine genetisch bedingte Erkrankung, die zu einer Lungen- und wesentlich seltener zu einer Lebererkrankung führen kann. Das von der Leber gebildete α1-Antitrypsin wird in das Blut sezerniert und hat als Aufgabe, eiweißabbauenden Substanzen (sog. „Proteasen“) entgegen zu wirken. Wird nun in der Leber zu wenig α1-Antitrypsin produziert, so überwiegen die „schädigenden“ Eiweißstoffe und es kommt, insbesondere in der Lunge, zu chronischer Gewebeschädigung.
Es können verschiedene genetische Typen/Schweregrade unterschieden werden (z.B. PiMZ, PiSZ, PiSS oder PiZZ), wobei je nach Typ zu wenig α1-Antitrypsin in der Leber produziert wird. Die schwerste Form des α1-ATM ist der genetische Typ PiZZ, bei dem praktisch gar kein α1-ATM gebildet wird. Eine Beteiligung der Leber findet sich in der Regel nur bei diesem genetischen Typ. Beim Typ PiZZ wird ein defektes α1-Antitrypsin in der Leber produziert, welches in den Leberzellen verbleibt und diese schädigt. Der Nachweis eines α1-ATM vom Typ PiZZ bedeutet jedoch nicht, dass es zwangsläufig auch zu einer nennenswerten Leberschädigung kommen muss, auf das Entstehen einer Lungenerkrankung ist jedoch mit besonderer Sorgfalt zu achten.
Symptomatik
Es ist davon auszugehen, dass sehr viele Erwachsene, aber auch bereits Kinder und Jugendliche mit chronischen Lungenproblemen z. T. über viele Jahre behandelt werden, ohne dass ein zugrunde liegender α1-ATM diagnostiziert wurde. Die „Dunkelziffer“ ist bei dieser Erkrankung sehr hoch und es sollte bei chronischer Erkrankung der Lunge an diese unterschätzte Erkrankung viel häufiger als bislang gedacht werden.
Eine Leberbeteiligung bei α1-ATM vom Typ PiZZ kann schon im Säuglingsalter zu klassischen klinischen und laborchemischen Befunden einer Lebererkrankung führen. Insofern ist es wichtig, bei einer unklaren Lebererkrankung immer auch an den α1-ATM zu denken und diesen abzuklären. Die Leberbeteiligung kann also sehr früh auftreten, Probleme mit der Lunge sind hingegen erst nach vielen Jahren, also im Jugend- und Erwachsenenalter zu erwarten.
Diagnosestellung
Richtungsweisend für die Diagnosestellung ist der Nachweis einer erniedrigten oder gar nicht nachzuweisenden Konzentration des Alpha-1-Antitrypsins im Blut (Eiweiß-Elektrophorese). Wenn dieses der Fall ist, so folgt die genetische Untersuchung auf die o.g. Subtypen der Erkrankung.
Die Bestimmung des Serum- α1-AT bei Kindern mit unklarer Leber- oder Lungenerkrankung sollte also immer zur Routine gehören. Aufgrund der Vererbbarkeit der Erkrankung sollten Familienmitglieder bei Diagnosestellung eines Kindes unbedingt auch untersucht werden, denn es kann z.B. ein Geschwisterkind durchaus auch eine schwerere Variante der Erkrankung haben als das aktuell untersuchte Kind selbst.
Therapie
Patienten mit α1-ATM müssen in gewissen Abständen von einem Lungenfacharzt untersucht werden und sollten schädigende Einflüsse (Rauchen!) für die Lunge vermeiden. In schweren Fällen kann das fehlende α1-AT auch als Medikament verabreicht werden (Prolastin®).
Bei einer Leberbeteiligung (kommt fast ausschließlich nur beim Typ PiZZ vor) kann in leichten Fällen Ursodesoxycholsäure (Ursofalk®) verabreicht werden, welche eine „schützende“ Funktion auf die Leberzellen hat. Sollte eine fortschreitende Lebererkrankung bis hin zum bindegewebigem Umbau (Zirrhose), mit all den bekannten Folgeproblemen, vorliegen, so muss frühzeitig eine Lebertransplantation diskutiert und geplant werden.
„Alpha-1-Zentren“
In Deutschland werden derzeit für Kinder sogenannte „Alpha-1-Zentren“ etabliert, um in Kooperation mit den Kinderärzten vor Ort betroffene Familien zu beraten und zu betreuen. Diese Zentren verteilen sich über das gesamte Bundesgebiet, wobei diese sich durch ausgewiesene und spezialisierte Kinderhepatologen charakterisieren. Insbesondere ist das in Zentren der Fall, in dem das gesamte Spektrum der Hepatologie, insbesondere auch die Lebertransplantation, angeboten wird. Darüber hinaus gibt es für den α1-ATM ein Referenzlabor und eine Selbsthilfegruppe für Betroffene.
Prof. Dr. med. Rainer Ganschow