Die extrahepatische Gallengangsatresie
Das Gallenwegssystem und die Atresie
Die Gallenwege sind ein System von Gefäßen, ähnlich den Blutgefäßen, das fein verzweigt in der Leber beginnt und die von den Leberzellen gebildete Galleflüssigkeit in immer größer werdenden Gängen sammelt.Über die Gallengänge wird die Galle schließlich in den Darm abgeleitet (siehe Abbildung links modifiziert aus www.medizinfo.de)
Der Fluss der Galleflüssigkeit aus der Leber in den Darm hat zwei Hauptfunktionen: Zum einen wird mit der Galle eine Vielzahl von Stoffen, die der Körper nicht weiter verwenden kann, in den Darm ausgeschieden, verlässt also schließlich mit dem Stuhlgang den Körper. Dazu gehören gelb gefärbte Abbauprodukte des Blutfarbstoffes (das sogenannte “direkte Bilirubin”), aber auch Körpergifte. Zum anderen aber enthält die Galle Stoffe, die im Darm zur
Fettverdauung gebraucht werden, die so genannten “Gallensäuren”. Bei der extrahepatischen Gallengangsatresie kommt es zu einem Verschluss der außerhalb der Leber (=extrahepatisch) gelegenenen Abschnitte des Gallenwegssystems. Je nach Unterform ist ein mehr oder weniger langes Stück undurchlässig beziehungsweise verschlossen. Somit kann die Galleflüssigkeit nicht mehr richtig abfließen.
Die extrahepatische Gallengangsatresie ist eine sehr seltene Erkrankung und betrifft Neugeborene und Säuglinge. Das Auftreten ist je nach Region verschieden, so kommt es in Japan bei 1 von 9.600, in Deutschland nur bei 1 von 15.000 Neugeborenen vor. Die Ursache der Gallengangsatresie ist noch nicht völlig geklärt, viele Einflüsse wie Autoimmunprozesse, fehlerhaft Abwehrprozesse des Körpers oder Infektionen werden als Auslöser diskutiert. Es wird vermutet, dass Virusinfektionen des Kindes noch im Mutterleib oder kurz nach der Geburt eine Rolle spielen könnten. Das Kind ist also während der Schwangerschaft zunächst gesund, und die normal angelegten Gallenwege werden erst später zerstört. Das Neugeborene wird dann erst in den Wochen nach der Geburt erkennbar krank.
Nur bei einem kleinen Teil der Patienten finden sich zusätzliche Veränderungen der Milz, einiger Blutgefäße, manchmal auch Herzfehler oder Darmanomalien – bei den meisten Kindern mit Gallengangatresie sind alle diese Organe dagegen gesund.
Krankheitsbild
Ist der Galleabfluss unterbrochen, häufen sich im Körper diejenigen Stoffe an, die eigentlich über die Galle ausgeschieden werden müssten. Das Kind wird durch den “Stau” des direkten Bilirubins gelb, gleichzeitig wird der Stuhl, dem dieser Farbstoff nun fehlt, heller, manchmal ganz weiß. Durch den Rückstau der Gallensäuren kann es zu heftigem Juckreiz kommen. Vor allem aber wird durch die sich ansammelnden schädlichen Stoffe die Leber selbst geschädigt, was man an einem Anstieg zahlreicher “Leberwerte” im Blut feststellen kann. Die Beeinträchtigung der Leber kann so weit gehen, dass sie ihre Funktionen nicht mehr aufrechterhalten kann. Es kommt zu Störungen der Blutgerinnung, Schläfrigkeit und Bauchwassersucht (Aszites).
Darüber hinaus fehlen auch Wirkstoffe für die Fettverdauung im Darm. Deswegen wachsen die Kinder oft nicht richtig, sie bleiben mager und klein. Vor allem die fettlöslichen Vitamine A, D, E und K können schlecht aufgenommen werden, was zu entsprechenden Mangelerscheinungen führen kann.
Diese Krankheitszeichen stellen sich ohne wirksame Behandlung (s. u.) innerhalb einiger Monate ausnahmslos bei allen betroffenen Kindern ein. Ohne Behandlung werden die Kinder deshalb nicht älter als höchstens zwei oder drei Jahre.
Diagnosestellung
Zunächst sollte bei einem nach der Neugeborenenzeit „gelben“ Kind Blut abgenommen werden, um zu sehen, ob das direkte Bilirubin erhöht ist. Auch die anderen Leberwerte wie die GOT, GPT und GGT sind nicht normal. Danach schließt sich eine Ultraschalluntersuchung der Bauchorgane an. Hier kann man sehen, dass die Gallenblase beziehungsweise Gallengänge oft funktionsuntüchtig oder gar nicht vorhanden sind. Außerdem können die Durchblutungsverhältnisse von Leber und Milz sowie begleitende Fehlbildungen festgestellt werden.
Es besteht die Möglichkeit, eine Szintigraphie durchzuführen; mit dieser Methode kann man die Ausscheidung von Galle in den Darm direkt auf Bildern -ähnlich wie Röntgenbildern- sichtbar machen. Diese Untersuchung ist jedoch nicht hundertprozentig zuverlässig und wird daher nicht in allen Zentren zur Diagnosestellung empfohlen. Manchmal ist es notwendig, eine Bauchspiegelung mit Kontrastmitteldarstellung der Gallengängedurchzuführen. Das Vorgehen muss von Kind zu Kind entschieden werden.
Auf jeden Fall sollte eine Leberbiopsie erfolgen. Hierbei wird mit einem Nadelstich durch die Bauchdecke (in einer kurzen Narkose) eine winzige Gewebemenge aus der Leber für eine mikroskopische Untersuchung entnommen. Diese Methode kann zur Unterscheidung der Gallengangatresie von ähnlichen Erkrankungen anfangs wichtig sein.
Therapie der Gallengangsatresie
Sobald die Diagnose feststeht, wird heutzutage eine sogenannte Kasai-Operation durchgeführt – je eher, desto besser. Hierbei wird der unterbrochene Gallefluss wiederhergestellt, bevor die Leber zu sehr geschädigt wird. Dazu werden die undurchgängigen Gallenwege und das meist an der Leberunterseite vorhandene Narbengewebe entfernt, und stattdessen wird ein Stück Darm an die Leber angenäht. Dieses Darmstück soll, sozusagen als “Ersatzgallengang”, die aus der Leber hervorquellende Galle in den Verdauungskanal leiten. Wie die Leber und der Darm aneinander angeschlossen werden, ist in linksstehender Abbildung dargestellt (modifiziert nach http://digestive.niddk.nih.gov).
Orientierend sagt man, dass bei einer Operation in den ersten 2 Lebensmonaten die Erfolgschancen am besten sind. Während der Kasai-Operation wird auch ein kleines Stück Lebergewebe entnommen und mikroskopisch untersucht. Je weniger narbige Veränderungen/Schädigung hierbei in der Leber festgestellt werden, desto besser die Aussichten, dass sie sich nach der Operation vollständig erholt. Manchmal besteht leider schon zum Operationszeitpunkt eine ausgeprägte Leberverhärtung (Leberzirrhose); dann sind die Aussichten schlechter. Bei nicht wenigen Patienten wird darüber hinaus die Diagnose einer Gallengangsatresie zu spät gestellt, so dass es aufgrund der fortgeschrittenen Leberschädigung keinen Sinn mehr macht, eine Kasai-Operation durchzuführen.
Prognose
Seit der Einführung der Kasai-Operation sind die Überlebenschancen für Kinder mit einer Gallengangatresie sehr viel besser geworden. Die meisten Kinder (etwa 80%) profitieren von dem Eingriff. Die Gelbsucht lässt nach, die Stuhlfarbe normalisiert sich, die Kinder gedeihen und erscheinen oft wieder weitgehend gesund. Nicht wenige Kinder werden aber im Laufe der Jahre langsam wieder krank, z. B. entwickeln sie wieder eine Gelbsucht oder andere Anzeichen einer Leberfunktionsstörung. Man hat dann zwar durch die Operation wichtige Jahre gewonnen, aber es kann schließlich doch ein kompletter narbiger Umbau der Leber entstehen, der dann eine Lebertransplantation notwendig macht (Einzelheiten siehe Kapitel „Lebertransplantation im Kindes- und Säuglingsalter“). Die Gallengangsatresie ist der häufigste Grund für eine Lebertransplantation im Kindesalter. Nur relativ wenige Kinder (etwa 10-20%) haben das Glück, nach einer Kasai-Operation so weitgehend gesund zu werden, dass sie ohne wesentliche Leberschädigung erwachsen werden.
Betreuung von Kindern mit Gallengangsatresie
Da es sich bei der extrahepatischen Gallengangsatresie um ein sehr seltenes Krankheitsbild handelt, haben meist nur spezialisierte medizinische Zentren, die sich mit kindlichen Lebererkrankungen beschäftigen, einen entsprechenden Erfahrungsschatz. Deshalb sollten die Kinder neben der natürlich weiter erforderlichen Betreuung durch den Kinderarzt zuhause auf jeden Fall in so einem „Leberzentrum“ mitbetreut und regelmäßig dort vorgestellt werden.
Neben der körperlichen Untersuchung mit Blutentnahme auf Zeichen der Leberfunktionsstörung werden die Kinder auch auf die Notwendigkeit von Vitaminsubstitutionen zur Abwendung gefährlicher Mangelzustände, vorbeugende Antibiotikagabe zur Verhinderung von Gallengangsinfektionen oder Ernährungsumstellung bei Gedeihstörung beurteilt. Einige Patienten benötigen juckreizhemmende und beruhigende Medikamente, da sie durch den Kratzdrang unter einem erheblich gestörten Nachtschlaf leiden. Viele Patienten bekommen zur Verbesserung des Galleflusses Ursodeoxycholsäure (z. B. UrsofalkR).
Einige Kinder vertragen die altersentsprechende Ernährung problemlos und gedeihen damit gut. Andere Kinder haben Probleme wegen der Störung der Fettverdauung (siehe oben). Um trotzdem ausreichend Kalorien zu bekommen, sollen diese Kinder eine Anreicherung der Nahrung mit besser verdaulichen Spezialfetten erhalten (sogenannten “mittelkettige Fettsäuren”, abgekürzt “MCT-Fette”). Diese sind als Speiseöl und Margarine in Apotheken und Reformhäusern erhältlich; auf Antrag werden die Kosten dafür von der Krankenkasse übernommen.
Die Diagnose Gallengangsatresie sollte auf keinen Fall Grund zum Abstillen sein, denn Muttermilch ist auch für diese Kinder die beste aller Neugeborenen- und Säuglingsnahrungen.
Dr. med. Enke Grabhorn