Lebertransplantation im Kindes- und insbesondere Säuglingsalter
Lange Zeit galt, dass Säuglinge und insbesondere Neugeborene nicht ohne weiteres lebertransplantiert werden können. Es bestand Sorge, dass es aufgrund der Größe der Patienten viel schwieriger sei, ein geeignetes Organ zu finden. Auch sei es viel komplizierter, diese Kinder zu operieren. Deswegen wurden viele Babys erst gar nicht in einem Transplantationszentrum vorgestellt und verstarben. Das ist erfreulicherweise heute nicht mehr so. Heutzutage können kleine Kinder und Babys genau wie größere Kinder sehr gut lebertransplantiert werden.
Hintergrund
Obwohl die erste erfolgreiche Lebertransplantation im Jahr 1967 an einem Kind durchgeführt wurde, schreckten viele Ärzte über lange Zeit davor zurück, Kinder zu transplantieren. Man hatte Angst vor der komplizierteren Operation, außerdem fehlten passende Spenderorgane. Inzwischen ist die Lebertransplantation im Kindesalter zu einem Routineverfahren geworden mit einer 1-Jahresüberlebensrate von über 95%. Seit Bestehen der europäischen Vergabestelle für Organe Eurotransplant sind 2700 Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren durch die Vermittlung von Eurotransplant transplantiert worden, darunter 700 Kinder im Alter unter einem Jahr. Es gibt jedoch in Europa nur wenige Zentren, die viel Erfahrung mit Lebertransplantationen im Säuglingsalter haben.
Ursachen für eine Lebertransplantation im Säuglingsalter
Auch kleine Kinder können akute und chronische Lebererkrankungen haben, die eine Lebertransplantation notwendig machen. In Dreiviertel der Fälle ist eine extrahepatische Gallengangsatresie die Ursache für ein Leberversagen im Säuglingsalter (siehe Beitrag „Gallengangsatresie“). Durch eine rechtzeitige Operation (sogenannte Kasai-Operation-> Verbindung einer Dünndarmschlinge mit der Leberpforte) können einige Patienten vor einer raschen Verschlechterung der Leberfunktion in den ersten Lebensmonaten bewahrt werden und eine Lebertransplantation hinausgezögert oder verhindert werden.
Andere wichtige Ursachen für eine Lebertransplantation im Säuglingsalter sind das akute Leberversagen, das häufig durch Stoffwechselerkrankungen, neonatale Hämochromatose (Eisenüberladung der Leber) oder Virusinfektionen ausgelöst wird und die neonatale Hepatitis, wobei die Übergänge hier zum Teil fließend sind. In einem nicht geringen Prozentsatz kann darüber hinaus die Ursache nicht eindeutig geklärt werden.
In Tabelle 1 sind nochmal Ursachen für die Notwendigkeit einer Lebertransplantation allgemein im Kindesalter aufgelistet.
Operationstechniken
Je nach Angebot von Eurotransplant als auch nach Dringlichkeit bekommen Babys und größere Kinder entweder ein ganzes Organ eines verstorbenen Spenders oder aber nur einen Teil einer Leber (Split-Technik-> Trennung der Leber in zwei transplantierbare Teile). Mit der Split-Technik schafft man die Situation, mit einer Leber einem Kind und einem Erwachsenen helfen zu können. Darüber hinaus ist es möglich, dass Eltern oder nahe Angehörige einem Kind einen Teil ihrer eigenen Leber spenden. Voraussetzung ist, dass sie die gleiche Blutgruppe haben, gesund sind und kein erhöhtes Risiko für Komplikationen während und nach der Operation haben. Zum Beispiel würde man ungern eine Mutter als Spenderin nehmen, die zu Thrombosen neigt. Oberstes Gebot bei Lebendspenden ist nämlich, dass die Gesundheit des Spenders nicht gefährdet wird. Der Hauptvorteil bei der Leberteil-Lebendspende ist die zeitliche Planbarkeit der Transplantation, somit also die Verkürzung der Wartezeit beziehungsweise die Transplantation des Kindes im eventuell besseren Allgemeinzustand. Es ist eine Frage der Abwägung dieser Vorteile für das Kind gegenüber den Belastungen und dem Risiko für den Spender. Heutzutage werden in Deutschland etwa zu gleichen Anteilen Leberteil-Lebendspende und Split-Leber-Transplantation angewandt.
Medikamente nach Lebertransplantation
Nach Lebertransplantation müssen die Kinder verschiedene Medikamente einnehmen, damit sie die neue Leber nicht abstoßen. Dazu gehören sogenannte Immunsuppressiva wie Ciclosporin A (CsA, Sandimmun® Optoral) oder Tacrolimus (FK506, Prograf®), Kortison, Aspirin zur Blutverdünnung und Ursodeoxycholsäure (Ursofalk®) zur Anregung des Galleflusses, eventuell auch noch Diuretika zur Wasserausschwemmung. Darüber hinaus ist die Therapie mit einem praktisch nebenwirkungsfreien Antikörper (Basiliximab; Simulect®) zur Reduktion von Abstoßungsreaktionen inzwischen Standard. Diese Antikörper werden nur zwei Mal in der frühen Phase nach Transplantation gegeben.
Am Anfang müssen die kleinen Patienten relativ viele Medikamente einnehmen, im Laufe der Zeit können diese zunehmend abgesetzt oder reduziert werden. Wenn alles „normal“ verläuft, kann zum Beispiel nach einem Jahr das Kortison und das Aspirin ganz abgesetzt werden. Nach heutigem Stand der Wissenschaft muss jedoch ein stärkeres Medikament zur Unterdrückung der Körperabwehr lebenslang weitergegeben werden, zumeist ist dies CsA oder Tacrolimus. Generell kann man aber sagen, dass in den bundesdeutschen Transplantationszentren eher eine niedrigere Immunsuppression angestrebt wird, um die Nebenwirkungen möglichst gering zu halten.
Komplikationen nach Lebertransplantation
Abstoßungen
Akute Abstoßungen treten bei jedem dritten bis vierten Kind auf, bei Säuglingen seltener als bei größeren Kindern. Dies bedeutet jedoch nicht, dass die neue Leber verloren geht. Es muss dann die Abwehr des Körpers stärker unterdrückt werden, z. B. durch eine mehrtätige Kortisontherapie. Sollte hiermit die Abstoßung nicht gut in den Griff zu bekommen sein, muss eventuell die Dauertherapie ganz umgestellt werden (z. B. von CSA auf Tacrolimus) oder durch weitere Immunsuppressiva wie Azathioprin (Imurek®), Mycophenolat Mofetil (Cellcept®) oder Everolimus (Certican®) erweitert werden. Für letztgenanntes Medikament liegen jedoch noch keine ausreichenden Daten vor. Eine akute Abstoßung ist bei uns nur sehr selten Grund für einen Transplantatverlust. Eine chronische Abstoßung tritt inzwischen bei Säuglingen in ca. 15% der Fälle auf (bei größeren Kindern bis zu 25%) und kann dann Grund für eine erneute Lebertransplantation sein. Die genauen Ursachen hiefür sind noch weitestgehend unklar.
Chirurgische Komplikationen
Trotz der verbesserten Operationstechniken ist es oft nicht möglich, ein optimal passendes Organ zu transplantieren. Darüber hinaus führt die Operation häufig zu einer vorübergehenden Schwellung der neuen Leber. Dies zusammen resultiert in einer sogenannten Large-for-size-Situation (= zu großes Organ für zu wenig Platz im Bauch) mit der Gefahr einer schlechten Durchblutung der Leber sowie Ausbildung von Thrombosen. Bei ungefähr der Hälfte der Patienten unter einem Jahr wird daher der Bauch zunächst nicht ganz verschlossen, sondern ein sogenannter „Goretex®-Patch“ (eine Art sterile Plastikhaut) eingelegt, der nach einigen Tagen wieder operativ entfernt werden kann. Dies ist relativ unkompliziert möglich und stört die Patienten wenig.
In vielen Zentren sind gerade bei Säuglingen Thrombosen in den neuen Gefäßverbindungen ein großes Problem. Um dies zu verhindern, bekommen die kleinen Patienten zunächst Heparin über die Vene und später Aspirin zum Schlucken. Bereits während der Transplantation wird ein Ultraschall der Leber durchgeführt, um eine schlechte Durchblutung möglichst frühzeitig festzustellen. Diese Kontrollen werden nach der Operation auf Station engmaschig fortgeführt.
Weitere typische chirurgische Komplikationen bei Säuglingen, die zu erneuten Operationen führen können, sind Galleleckagen (Galleflüssigkeit läuft in den Bauchraum), Darmperforationen (kleinere Löcher im Darm) und Blutungen aus neuen Gefäßverbindungen oder Schnittflächen. Insgesamt kann man davon ausgehen, dass jeder dritte Patient ein weiteres Mal operiert werden muss.
Infektionen
Da die kleinen Patienten ein relativ unreifes Immunsystem haben und darüber hinaus oft geschwächt durch die Lebererkrankung in die Transplantation gehen, sind sie danach sehr anfällig für Infektionen. In der Mehrzahl der Fälle sind dies bakterielle Infektionen gefolgt von Virus- und Pilzinfektionen. Je höher die Dosis der das Immunsystem unterdrückenden Medikamente, desto gefährdeter ist ein Patient für Infektionen. Leider können die Infektionen auch so schlimm verlaufen, dass ein Kind daran versterben kann. Um dies zu verhindern, bekommen die Kinder vorsichtshalber direkt nach der Operation Antibiotika, und die Entzündungswerte im Blut werden oft kontrolliert. Hier spielt natürlich auch die Erfahrung der betreuenden Schwestern und Ärzte eine große Rolle.
Posttransplantationslymphom (PTLD)
Bekommt ein Patient immunsuppressive Medikamente, ist er gefährdet, im Verlauf nach der Transplantation eine Art Lymphdrüsenkrebs zu entwickeln, ein sogenanntes Posttransplantationslymphom. Dieses Risiko ist besonders hoch, wenn Kinder nach der Transplantation eine Infektion mit Ebstein-Barr-Virus (EBV) durchmachen und zeitgleich besonders hohe Dosen von CSA oder Tacrolimus (z. B. aufgrund wiederholter Abstoßungen) einnehmen müssen.
Da in Deutschland meist eine niedrige Immunsuppression bevorzugt wird, kommt das Posttransplantationslymphom bei uns relativ selten vor. Während in anderen Ländern fast jedes fünfte Kind davon betroffen war, ist es bei uns nur circa jedes fünfzigste Kind.
Bluthochdruck und Nierenfunktionsstörungen
Ein Bluthochdruck ist eine typische Nebenwirkung einer Therapie mit CSA, Tacrolimus und Steroiden. Im Vergleich zu anderen Ländern kommt dieser bei uns wegen der relativ niedrigen Medikamentenspiegel relativ selten vor. Von unseren kleinen Patienten musste nur jeder zwanzigste dauerhaft wegen eines Bluthochdruckes behandelt werden. Im Vergleich dazu war dies in anderen Ländern (z. B. USA) jeder dritte Patient. Die Ursache hierfür liegt höchstwahrscheinlich in der höheren Basis-Immunsuppression anderer Zentren.
Ebenfalls zu achten ist auf die Nierenfunktion, die unter CSA und Tacrolimus beeinträchtigt sein kann. Tritt eine Nierenfunktionsstörung dauerhaft auf, sollte die immunsuppressive Therapie angepasst werden, z. B. niedrigere Medikamentenspiegel von CSA toleriert und eventuell zur zusätzlichen Abstoßungsunterdrückung ein weiteres Medikament, wie z. B. Azathioprin (Imurek®) eingenommen werden.
Psychomotorische Entwicklung
Ein akutes Leberversagen geht häufig mit einer akuten Beeinträchtigung der Hirnfunktion der betroffenen Kinder einher. Bei chronischen Lebererkrankungen entwickelt sich darüber hinaus rasch ein Hirnabbau. Die Dauer der Wartezeit sowie der Zustand der Patienten bis zur Transplantation spielt hierfür sicherlich auch eine nicht unwichtige Rolle. Trotz dieser Einschränkungen ist die geistige Entwicklung bei den kleinen Patienten erfreulich. Im Hamburger Kollektiv der Patienten unter 1 Jahr war in über 80% eine normale geistige und motorische Entwicklung zu verzeichnen. Dies korreliert gut mit Ergebnissen anderer internationaler Studien, die insbesondere bei Transplantation junger Kinder und Säuglinge eine gute Prognose hinsichtlich der Entwicklung beobachtet haben.
Ausblick
In den letzten Jahren wurde zunehmend in Studien versucht, bei Patienten die Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems abzusetzen (vor allem Patienten unter CsA-Therapie). Im Moment gibt es jedoch noch keine Möglichkeit, die Patienten rauszufinden, bei denen so etwas sicher möglich ist. Aufgrund ihres unreifen Abwehrsystems scheinen jedoch Säuglinge theoretisch ideale Kandidaten für eine solche Entwöhnung zu sein. Weitere Studien bleiben abzuwarten.
Ein innovativer Therapieansatz verspricht die Transplantation von Leberzellen oder Stammzellen. Es wurden vereinzelt vielversprechende Fallberichte und Tiermodelle berichtet, jedoch war kein langanhaltender Effekt zu sehen. Sie bietet sich aber eventuell als Überbrückungs-Verfahren bei akutem Leberversagen an. Auch hier bleiben die Entwicklungen der kommenden Jahre abzuwarten.
Dr. med. Enke Grabhorn,
Leben nach der Transplantation
Langzeitbetreuung nach Lebertransplantation
In der Regel ist eine Lebertransplantation im Kindesalter mit einem mehrwöchigen Aufenthalt im Krankenhaus verbunden. In dieser Zeit werden bereits regelmäßige körperliche Untersuchungen, Kontrollen der Blutwerte und auch Ultraschallkontrollen durchgeführt. Aber auch nach dem Aufenthalt im Krankenhaus ist es sehr wichtig, regelmäßige Blutentnahmen und Ultraschalluntersuchungen durchzuführen. Dabei ist eine gute Mitarbeit der Eltern für den Transplantationserfolg von essentieller Bedeutung. Zu empfehlen ist, dass sich Eltern betroffener Kinder einen Ordner mit den wichtigsten medizinischen Unterlagen über Ihr Kind anlegen.
Regelmäßige Medikamentengabe
Das körpereigene Immunsystem sieht die transplantierte Leber als „fremd“ an und versucht, sie abzustoßen. Bei dieser Abwehrreaktion werden Zellen des Immunsystems aktiviert. Durch die Abstoßungsreaktion wird die Funktion der transplantierten Leber gefährdet. Aus diesem Grund muss die Aktivierung des Immunsystems durch Medikamente (sog. „Immunsuppressiva“) unterdrückt werden. Es werden meist mehrere Medikamente mit unterschiedlichen Wirkmechanismen kombiniert, z. B. ein Cortisolpräparat, Ciclosporin A (CSA) oder Tacrolimus und ein nur während des Krankenhausaufenthaltes nach der Transplantation angewendeter Antikörper.
Diese Immunsuppressiva müssen regelmäßig und in hohem Maße zuverlässig eingenommen werden. Nur so kann eine ausreichende Konzentration des Medikamentenwirkstoffes im Blut erreicht und das Organ vor einer Abstoßung geschützt werden. Die Medikamente sollten immer zur gleichen Zeit und mit der gleichen Flüssigkeit eingenommen werden. Bei der regelmäßigen Einnahme kann ein Wecker hilfreich sein. Die Medikamenteneinnahme kann z. B. auch an bestimmte Tätigkeiten wie z. B. das Zähneputzen geknüpft werden. Wenn die Kinder schon etwas älter sind, sollten Ihnen die Bedeutung der Medikamente vermittelt werden und die Kinder in dieser Hinsicht zu Zuverlässigkeit und Selbstständigkeit erzogen werden. Grapefruit (oder Grapefruitsaft) verändert den Medikamentenspiegel von Ciclosporin A, deshalb sollte der Verzehr vermieden werden. Die Medikamente sollten nicht gleichzeitig mit Milch eingenommen werden.
Zusätzlich zu den immunsuppressiven Medikamenten wird eine Therapie mit Ursodesoxycholsäure (Ursofalk®), die die Leberzelle schützt, durchgeführt. Eine Therapie mit Aspirin (ASS) wird für ein Jahr nach Lebertransplantation empfohlen. Der individuelle Medikamentenplan für Ihr Kind wird mit den Ärzten des Transplantationszentrums koordiniert und aktualisiert.
Bei regulären antibiotischen Therapien ist darauf zu achten, dass keine sog. Makrolidantibiotika (z. B. Erythromycin oder Clarithromycin) eingesetzt werden, da diese den Medikamentenspiegel von Ciclosporin oder Tacrolimus beeinflussen können. Zudem können Anti-Pilzmittel und antiepileptische Medikamente den Spiegel der Medikamente beeinflussen, bei der Anwendung dieser Medikamente müssen engmaschige Spiegelkontrollen erfolgen. Es ist möglich, dass bei späteren Operationen, z. B. bei Zahneingriffen eine antibiotische Prophylaxe durchgeführt werden muss. In solchen Fällen sollten Sie vorab mit Ihrem Transplantationszentrum Kontakt aufnehmen. Häufig wird die Operation sogar in Ihrem Transplantationszentrum vorgenommen werden.
Nebenwirkungen der Medikamente
Nebenwirkungen der Medikamente lassen sich nicht in jedem Fall vermeiden. Durch die Immunsuppressiva kann ein behandlungspflichtiger Bluthochdruck oder eine beeinträchtigte Nierenfunktion wie auch neurologische Symptome auftreten. Zudem werden bei Ciclosporin häufig Zahnfleischwucherungen, Verfärbungen der Zähne und ein vermehrter Haarwuchs am Körper beobachtet. Dies kann gelegentlich auch Grund für eine Medikamentenumstellung sein. Das Alternativpräparat Tacrolimus (auch „FK“ genannt) hat als häufige Nebenwirkungen Haarausfall, Juckreiz und Veränderungen der Blutfette oder des Blutzuckers. Auch Allergien können unter Tacrolimus entstehen. Bei Durchführung der immunsuppressiven Therapie muss häufig der Mineralstoff Magnesium in Form von Tabletten ersetzt werden muss. Durch Cortisolpräparate, insbesondere bei langer Therapiedauer, kann eine Wachstumsstörung, ein Bluthochdruck oder Mineralisierungsstörung an den Knochen sowie Veränderungen der Haut oder der Augen und kosmetische Beeinträchtigungen entstehen. Aus diesem Grund wird die Cortisondosis bei Kindern nach Lebertransplantation rasch reduziert.
Bei Anwendung von Mycophenolatmofetil (Cellcept®) oder Azathioprin (Imurek®) werden Durchfall oder Blutbildveränderungen (z. B. eine erniedrigte Anzahl von weißen Blutkörperchen oder Blutplättchen) beobachtet. Bei Anwendung von Sirolimus (Rapamune®) oder Everolimus (Certikan®) können erhöhte Werte für Blutfette oder auch Blutbildveränderungen auftreten.
Bei intensiver Sonnenbestrahlung können unter immunsuppressiver Therapie Hauttumore entstehen. Deshalb sollten Kinder nach Lebertransplantation vor direkter Sonnenstrahlung möglichst geschützt werden.
Akute Transplantatabstoßung
Auch bei gut eingestellter Immunsuppression können insbesondere in den ersten sechs Wochen nach Lebertransplantation, aber auch noch Jahre nach der Transplantation akute Abstoßungsreaktionen auftreten. Häufig zeigen die Kinder keine oder nur wenige Symptome, eventuell ein bisschen erhöhte Temperatur. Sind die Leberwerte in der Blutanalyse erhöht und findet sich kein andere Ursache (z.B. ein Infekt), so sollte immer das Lebertransplantationszentrum kontaktiert werden und eine Leberbiopsie mit nachfolgender feingeweblicher Untersuchung erfolgen. Medikamentös wird eine akute Abstoßungsreaktion mit Cortisol behandelt.
Infektionen
Infektionen können nach Lebertransplantation insbesondere wegen der notwendigen Immunsuppression häufig auftreten. Um dies feststellen zu können, müssen Blutentnahmen und körperliche Untersuchungen bei den Kindern durchgeführt werden. Am häufigsten treten bakterielle Infektionen und Infektionen durch Viren auf. Bei den Virusinfektionen hat die Infektion mit dem Cytomegalievirus (CMV) besondere Bedeutung. Eine CMV-Infektion verläuft gewöhnlich harmlos, kann aber bei lebetransplantierten Patienten die Leberfunktion schädigen. Ein ähnliches Virus, das Eppstein-Barr-Virus (EBV), kann ebenfalls nach Lebertransplantation problematisch werden. Infektionen müssen möglichst frühzeitig erkannt werden, damit sie mit entsprechenden Antibiotika oder Medikamenten gegen Virus- oder Pilzinfektionen adäquat behandelt werden können.
Regelmäßige Kontrolluntersuchungen
Von besonderer Bedeutung sind regelmäßige Blutuntersuchungen zur Kontrolle des Medikamentenspiegels und der allgemeinen Laborparameter. Diese führt der niedergelassene Kinderarzt oder das Transplantationszentrum durch. In den ersten beiden Monaten nach der Lebertransplantation sollten die ambulanten Kontrollen zunächst wöchentlich, anschließend zweiwöchentlich stattfinden. Im weiteren Verlauf reicht bei stabilen Leberwerten eine Kontrolle der Laborparameter vier- bis sechswöchentlich aus und kann später entsprechend seltener stattfinden. Auch wird die Frequenz der Ultraschalluntersuchungen individuell festgelegt, bei völlig unkomplizierten Verläufen reicht gewöhnlich eine Sonographie pro Quartal.
Fieberhafte Infektionen und insbesondere Durchfall können zu Schwankungen der Medikamentenspiegel führen können, so dass in diesen Fällen eine schnelle körperliche Untersuchung und Blutentnahme notwendig werden. Falls eine fieberhafte Infektion bei Ihrem Kind auftritt, sollten Sie unverzüglich Ihren Kinderarzt oder eine nahe gelegene Kinderklinik kontaktieren.
Einmal jährlich erfolgt die Vorstellung im Transplantationszentrum zur Durchführung der sogenannten Jahreskontrolle, bei der umfangreiche Laboruntersuchungen, ein Ultraschall sowie diverse Spezialuntersuchungen (Kardiologe, HNO-Arzt, Augenarzt, psychologische Untersuchungen etc.) durchgeführt werden.
In Anbetracht dessen, dass im Langzeitverlauf einige Kinder eine chronische Transplantatdysfunktion aufweisen, werden in einigen Zentren auch reguläre Kontroll-Leberbiopsien durchgeführt, um frühzeitige Veränderungen des Transplantates diagnostizieren zu können.
Der Alltag zu Hause
Nach Lebertransplantation können Kinder altersentsprechend ernährt werden. Aufgrund der immunsuppressiven Medikation sollte auf die Anschaffung neuer Haustiere verzichtet werden, bereits vorhandene Haustiere müssen allerdings nicht abgegeben werden.
Kindergarten und Schule
Kinder können ca. 8-10 Wochen nach der Lebertransplantation wieder in den Kindergarten oder in die Schule eingegliedert werden. In der frühen Phase nach Transplantation sollten aufgrund der erhöhten Ansteckungsgefahr insbesondere auch für klassische Kinderkrankheiten größere Menschenmengen gemieden werden.
Sportliche Aktivitäten
Nach einer Lebertransplantation können sich Kinder grundsätzlich sportlich betätigen, sie sollten jedoch Sportarten mit erhöhter Verletzungsgefahr, wie z. B. Reiten, Handball oder Kampfsportarten meiden. Eine intensive sportliche Belastung sollte erst im zweiten Jahr nach Lebertransplantation beginnen und von regelmäßigen ärztlichen Untersuchungen begleitet sein.
Impfungen
Nach einer Lebertransplantation können sämtliche von der Ständigen Impfkommission empfohlene Impfungen mit Totimpfstoffen inklusive Meningokokken und Pneumokokken, insbesondere aber Hepatitis B, ab dem 6. Monat nach Lebertransplantation durchgeführt werden. Ein Jahr nach Lebertransplantation kann die Lebendimpfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) und auch eine Windpocken (Varizellen)-Impfung vorgenommen werden, diese sollten jedoch nicht kombiniert werden.
Für Mädchen zwischen 12 und 17 Jahren wird die HPV-Impfung zur Prophylaxe von Gebärmutterhalskrebs empfohlen. Gegebenenfalls müssen nach der Impfung Impftiter kontrolliert werden und eventuell zusätzliche Auffrischimpfungen durchgeführt werden.
(Anmerkung der Redaktion: Die hier dargestellten Impfungen werden vom Hamburger Zentrum empfohlen. Andere Zentren empfehlen zum Teil keine Lebendimpfstoffe, da es keine offizielle Empfehlung der Ständigen Impfkommission und noch keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege gibt. Derzeit wird angestrebt, in einer zentrumsübergreifenden Studie die Erfahrungen mit den Lebendimpfstoffen wissenschaftlich zu publizieren.)
Urlaubsreisen
Bei stabiler Transplantatfunktion sind Urlaubsreisen auch in das Ausland möglich. Vor Reiseantritt sollte jedoch das Transplantationszentrum kontaktiert werden, um eventuelle Ansprechpartner für Notfälle in dem jeweiligen Urlaubsgebiet festzulegen. Vorhandene Arztbriefkopien, der Impfpass sowie die Telefonnummern des Transplantationszentrums sollten im Urlaub mitgeführt und eventuelle Reiseimpfungen mit dem Transplantationszentrum diskutiert werden.
Prof. Dr. med. Rainer Ganschow
Für welches Transplantationszentrum sollen wir uns entscheiden?
Vorbemerkung
Es findet derzeit in Deutschland eine komplette Re-Organisation der LTx-Zentren (Lebertransplantationszentren) statt, welche vornehmlich dadurch begründet ist, dass es umfangreiche personelle Veränderungen auf chirurgischer und pädiatrischer Seite gab und ein Kinderlebertransplantationsprogramm für eine Klinik aus verschiedenen Gründen als hoch attraktiv angesehen werden kann. Über viele Jahre hinweg hatten wir für die ca. 80-100 Kinderlebertransplantationen pro Jahr in Deutschland 3-4 Transplantationszentren. Aktuell wollen sich 8-11 Zentren in der Szene etablieren oder halten, was aus fachlicher Sicht beunruhigt.
Mit großer Wahrscheinlichkeit werden sich in den nächsten zwei Jahren nur 3-5 LTx-Zentren durchsetzen, was für die Aufrechterhaltung des sehr hohen Niveaus auch sinnvoll wäre. Wünschenswert und durchaus patientenorientiert wird jedoch die zusätzliche Etablierung von Vor- und Nachsorgezentren sein, die mit einem großen Transplantationszentrum eng zusammen arbeiten und dadurch charakterisiert sind, dass dort mit der Kinderlebertransplantation erfahrene Kinderhepatologen tätig sind. Im folgenden werden diese beiden unterschiedlichen Zentrumsvarianten für die Entscheidungsfindung von Eltern mit leberkranken Kindern charakterisiert.
1. Das LTx-Zentrum
Die in Deutschland tätigen Kinderhepatologen haben vor kurzem im Deutschen Ärzteblatt gefordert, dass zukünftig (analog zu anderen Ländern) Kinderlebertransplantationen nur in ausgewiesenen und erfahrenen Zentren erfolgen sollten. Als Qualitätsmerkmal dient die sogenannte „Zertifizierung“, mit der ein Zentrum einen Qualitätsstandard in allen relevanten Bereichen nachweisen und aufrechterhalten muss.
Optimale Ergebnisse nach LTx im Kindesalter werden nur durch eine intensive und interdisziplinäre Zusammenarbeit erreicht, zu der u. a. folgende Aspekte zählen:
A. Personal (mit LTx- Erfahrung):
- Kinderhepatologen
- Transplantationschirurgen
- Anästhesisten
- Intensivmediziner
- Pflegepersonal
- Kinderradiologen (Ultraschall!)
- Pathologen
- Psychologen und Personal für psychosoziale Fragestellungen („Social Nurse“)
- 24-Stunden-Rufbereitsschaft
B. Apparative und räumliche Ausstattung:
- Die komplette hepatologische und gastroenterologische Diagnostik und Therapie muss vor Ort vorgehalten werden.
- Ausreichende Bettenzahl für LTx-Patienten auf der Intensivstation und auf peripheren Stationen
- LTx-Ambulanz
C. Zentrumserfahrung:
- Die nationale und internationale Literatur belegt zweifelsohne, dass der Erfolg eines Zentrums direkt von der Erfahrung abhängig ist („learning curve“).
- Die LTx sollte in einem Zentrum mit einer gewissen Häufigkeit pro Jahr durchgeführt werden, um die Qualität sicher zu stellen.
Wichtige Fragen zur Beurteilung eines LTx-Zentrums:
- Ist das Zentrum für die Kinderlebertransplantation zertifiziert?
- Ist das Zentrum Ausbildungszentrum der Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE; Qualitätsmerkmal)?
- Haben alle leitenden Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter (z. B. Hepatologe, Chirurg) mindestens einen Vertreter/eine Vertreterin, die bei Abwesenheit das Qualitätsniveau sicherstellen?
- Wie viele Kinderlebertransplantationen wurden im Zentrum bislang durchgeführt?
- Bietet das Zentrum alle möglichen Transplantationsmodalitäten an (Fremdspende, Splitleber-Tx und Leberlebendspende)?
- Ist das Zentrum auch wissenschaftlich aktiv (Publikationen? Studien?) und misst sich somit auch mit internationalen Standards?
- Wie ist neben dem medizinischen Qualitätsstandard die Patientenzufriedenheit?
- Wie ist die Erreichbarkeit (Telefon? E-Mail? Sekretariat?)
2. Das Vor- und Nachsorgezentrum
Zusätzlich zum betreuenden Kinderarzt im Wohnort sollte ein heimatnahes Vor- und Nachsorgezentrum für die erweiterte Diagnostik und Therapie vor und nach LTx mit in die Versorgung einbezogen werden. Folgende Aspekte sind hierbei zu berücksichtigen:
A. Personal
- mindestens ein in der Kinderlebertransplantation erfahrener Kinderhepatologe sowie eine Vertretung
- erfahrenes Pflegepersonal
- ein erfahrener Kinderradiologe (Ultraschall)
B. Apparative und räumliche Ausstattung:
- Radiologische Abteilung (Röntgen und Sono)
- Labor, welches noch am gleichen Tag die Medikamentenspiegel bestimmt
- Möglichkeit der Leberbiopsie
- Endoskopie
- Hepatologische/Gastroenterologische Ambulanz
- alle technischen und laborchemischen Möglichkeiten der hepatologischen Diagnostik
C. Zentrumserfahrung:
- Je erfahrener der Kinderhepatologe ist, desto besser wird die Qualität der Betreuung sein.
- Die anderen Berufsgruppen (z. B. Chirurgen) sind im Vergleich zum LTx-Zentrum von weniger Bedeutung, da bei kompizierten Fragestellungen ohnehin das LTx-Zentrum aufgesucht werden muss.
Wichtige Fragen zur Beurteilung eines Vor- und Nachsorgezentrums:
- Ist der leitende Kinderhepatologe mit der LTx im Kindesalter erfahren?
- Gibt es adäquate Vertreter des Kinderhepatologen?
- Wie gut ist die Qualität des Leberultraschalls?
- Arbeitet das Zentrum eng mit einem LTx-Zentrum zusammen?
- Kann auf die Laborergebnisse noch am gleichen Tag reagiert werden?
Zusammenfassende Empfehlungen
Die optimale Betreuung eines leberkranken Kindes vor und nach Lebertransplantation erfolgt durch ein erfahrenes LTx-Zentrum (geographische Lage von untergeordneter Bedeutung), ein erfahrenes Vor- und Nachsorgezentrum (heimatnah) sowie durch den niedergelassen Kinderarzt. Alle drei Einheiten sollten gut miteinander kooperieren und regelmäßig alle patientenrelevanten Daten austauschen.
Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und die Zentrumserfahrung sind Garant für optimale Ergebnisse nach Lebertransplantation im Kindesalter.
Prof. Dr. med. Rainer Ganschow